Sonntag, 11. November 2012

Randnotizen zu Zwillingsschwestern und Olivia de Havilland

Wie ich schon angekündigt habe, gibt es noch zwei Besprechungen von Bruno, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Diese hier ist die erste, die zweite folgt dann nach meinem nächsten Text in ungefähr zehn Tagen.

Manfred




Der schwarze Spiegel
(The Dark Mirror, USA 1946)

Regie: Robert Siodmak
Darsteller: Olivia de Havilland, Lew Ayres, Thomas Mitchell, Richard Long, Charles Evans, Lela Bliss u.a.

Wen hätte es erstaunt, wenn Olivia de Havilland nach ihrer für einen Oscar nominierten Melanie Hamilton in “Gone With the Wind” (1939) nur noch als sich aufopfernde Frau mit engelhaftem Gesicht zu sehen gewesen wäre? - Tatsächlich sollte ihre Karriere jedoch einen anderen Verlauf nehmen, was nicht zuletzt mit einem Prozess zusammenhing, den sie gegen Warner Brothers führte und im Gegensatz zu ihrer Freundin Bette Davis, die in den 30ern etwas Ähnliches versucht hatte, auch gewann. Dieser Prozess ging zwar mit einer dreijährigen Zwangspause einher , ermöglichte der Schauspielerin, von der man behauptet, sie sei privat alles andere als “engelhaft” gewesen (sie soll mit ihrer Schwester Joan Fontaine zeit ihres Lebens kein Wort mehr gewechselt haben, weil diese vor ihr einen Oscar erhielt), aber anschliessend ein wesentlich vielfältigeres Rollenspektrum.

Olivia de Havilland ging schon früh einen jener berüchtigten Siebenjahresverträge mit Warner ein und wurde in der Folge mit Vorliebe als Partnerin von Errol Flynn besetzt, der dafür bekannt war, dass er sämtliche gut aussehenden Frauen und Männer, mit denen er spielte, ins Bett zu kriegen versuchte, während ausgerechnet die Schauspielerin, in die er sich hoffnungslos verliebte, nicht an ihm interessiert war. - Es kam zu einem ersten Konflikt mit ihrem Studio, als man sie für “Gone With the Wind” nicht an Selznick ausleihen wollte. Anfangs der 40er Jahre wurde de Havilland von Warner suspendiert, weil sie sich weigerte, eine Rolle anzunehmen. Gleichzeitig entliess man sie nicht aus ihrem mittlerweile abgelaufenen Vertrag. Gegen diese Allmacht der Studios zog die Schauspielerin bis vor den Obersten Gerichtshof der USA. Ihr Sieg läutete den Beginn einer neuen Ära ein.

Nach ihrer Rückkehr ins Filmgeschäft war de Havilland zwar weiterhin auch in Melodramen zu sehen (ihren ersten Oscar erhielt sie für die Mitchell Leisen-Schnulze “To Each His Own”, 1946); aus heutiger Sicht interessanter dürfte jedoch ihre Entscheidung sein, vor allem auch zwielichtige, zwiespältige, ja in sich gebrochene Charaktere zu spielen - denn solche Rollen ermöglichten es ihr, in der zweiten Hälfte der 40er Jahre Gestalten auf die Leinwand zu bringen, wie man sie bis anhin nicht gesehen hatte. Dass solche Rollen überhaupt in den Bereich des Möglichen gerieten, hatte mit dem aufflammenden Interesse Hollywoods am Psychoanalytischen zu tun, das dank über 400 aus Europa emigrierter Psychiater und Psychoanalytiker dabei war, die USA zu erobern. Und es waren, was wohl nicht erstaunlich ist, vor allem ursprünglich aus Europa stammende Regisseure, die das Interesse mit zum Teil kleinen Meisterwerken zu bedienen wussten. --- Hier soll an einen Film erinnert werden, mit dem Olivia de Havilland nach ihrem Comeback das Publikum überraschte: "The Dark Mirror".


Es war nicht zuletzt der amerikanischen Kriminalfilm, der sich psychoanalytischer Elemente begeistert annahm und dem von John Huston und Billy Wilder (“Double Indemnity”, 1944) geprägten Modell (desillusionierter Mann erliegt einer “femme fatale”) ein zweites entgegenstellte, das sich ebenfalls einiger Stilelemente des "Film noir" bediente und in dem ursprünglich psychologische Elemente von Drehbuchautoren oft derart popularisiert wurden, dass sie kaum mehr etwas mit der eigentlichen Wissenschaft zu tun hatten (Hitchcocks “Spellbound”, 1945, Langs “Secret Beyond the Door”, 1947, Ophüls’ “The Reckless Moment”, 1949). - Robert Siodmak, ein Regisseur, dem ein typisch deutsches Emigranten-Schicksal beschieden war (er hatte 1929 in Deutschland als Co-Regisseur mit dem Meisterwerk “Menschen am Sonntag” begonnen und endete auch in Deutschland mit Karl May-Filmen!), drehte im Exil in Hollywood einige Klassiker des psychologisch angehauchten Krimis, darunter einen der grossen Nägelkauer der Filmgeschichte, “The Spiral Staircase” (1945). - “The Dark Mirror” zeigt schon zu Beginn, dass er diesem Subgenre zuzuordnen ist, machen doch bereits hinter dem Vorspann die berühmten Rorschach-Tintenkleckse auf sich aufmerksam. Ein Arzt wird in seiner Wohnung ermordet aufgefunden, und der Fall scheint für Lieutenant Stevenson auf den ersten Blick so gut wie gelöst zu sein: Mehrere Zeugen sagen aus, der Ermordete habe mit Terry Collins ein Verhältnis gehabt, und diese sei nach der Tat beim Verlassen der Wohnung beobachtet worden. Plötzlich tauchen aber auch Zeugen (darunter ein Polizist) auf, die Terry zur Tatzeit in einem weit entfernten Park gesehen haben. Die junge Frau scheint also ein perfektes Alibi zu haben. Der verzweifelte Lieutenant begibt sich noch einmal in die Wohnung der ursprünglich Verdächtigten - und es erwartet ihn eine Überraschung: Terry hat eine (identische) Zwillingsschwester namens Ruth! Von nun an zeigen sich die beiden Frauen (beide gespielt von Olivia de Havilland) wenig kooperativ, was den Polizisten dazu veranlasst, die Hilfe des Psychologen Dr. Scott Elliott in Anspruch zu nehmen. Dieser soll es mithilfe “psychologischer” Ermittlungsverfahren ermöglichen, zwischen einer “guten” und einer “bösen” Zwillingsschwester zu unterscheiden.

Der Film musste mit einem kleinen Budget gedreht werden, was man ihm an vielen Details anmerkt: Lew Ayres, der nach seiner Hauptrolle in Lewis Milestone's "All Quiet On the Western Front" (1930) vor allem mit seinen Dr. Kildare-Filmen eine gewisse “Berühmtheit” erlangt hatte, wirkt als sich langsam in die unschuldige Schwester verliebender - langweiliger - Psychiater so deplaziert wie manche andere Darsteller, die man wohl verzweifelt akzeptieren musste; das Drehbuch, dessen Pseudo-Anleihen bei der Psychoanalyse gelegentlich zum Lachen reizen und Mark Rutland's nächtliche Analyse seiner Frau in Hitch’s “Marnie (1964) direkt professionell erscheinen lassen, strotzt vor Ungereimtheiten (der “Kenner” der Materie negiert die Möglichkeit, dass Zwillinge die gute und die böse Seite im Menschen repräsentieren können, was aber genau der Clou dieser Neuauflage von “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” mit weiblicher Besetzung ist, der man allerdings zugute halten muss, dass sie nicht darauf aus ist, einem klassischen “Whodunit” Konkurrenz zu machen). Auch die Musik von Dimitri Tiomkin übertreibt es in gewissen Szenen (beim Test mit dem Lügendetektor wird jeder Ausschlag mit der Nadel musikalisch derart hysterisch unterstützt, dass der Eindruck entsteht, man eile dem unausweichlichen Höhepunkt, einer Katastrophe entgegen). Sogar Siodmak scheint sich einige Nachlässigkeiten zu erlauben: Warum etwa muss er die beiden Schwestern durch Halsketten und Broschen mit Namen voneinander unterscheiden, wo Olivia de Havilland’s Gestik und Mimik doch bereits mehr als deutlich verraten, mit wem wir es gerade zu tun haben (die unschuldige Schwester tritt stets freundlich, aber mit gesenktem Blick und unruhig gefalteten Händen, die schuldige selbstbewusst, sich ihrer zu sicher, auf). Ein typisches B-Movie eben! Oder doch nicht so ganz?

“The Dark Mirror” beeindruckte mich als kleinen Knirps, der sich in den 60ern auch Krimis erlaubte, zutiefst. Eine kürzlich erfolgte Neusichtung  liess mich ihn vor allem als Kind seiner Zeit verstehen und früher nicht bemerkte Details schätzen: Ich denke etwa an die in vielen Szenen unauffällig platzierten Spiegel und das raffiniert eingesetzte Schüfftan-Verfahren, mit dessen Hilfe eine hervorragend spielende Olivia de Havilland als Zwillingsschwestern Terry und Ruth im gleichen Bild gezeigt werden konnte. Und noch immer weist die beängstigende Entwicklung zwischen den Schwestern (die Mörderin versucht ihre zunehmend besorgt reagierende Schwester in den Wahnsinn zu treiben, indem sie ihr einredet, sie leide unter Halluzinationen) auf die dunkle Seite der menschlichen Psyche hin, lässt uns an Freuds “Das Unheimliche” denken. Als dann gegen Schluss die eine (böse) Variante von de Havilland der Polizei einzureden versucht, ihre tot geglaubte Schwester habe den Mord begangen, blitzt der blanke Wahnsinn aus ihren Augen. Diese schauspielerische Meisterleistung (wer hätte sie von “Melanie Hamilton” je erwartet?) kann man nur bewundern. - Sie lässt das tatsächliche Zerbrechen eines Spiegels am Ende des Films wie eine Erlösung erscheinen.


Der zügig inszenierte Thriller erhielt immerhin eine Oscar-Nominierung für das Drehbuch, was zeigt, dass er dem entsprach, was die Zuschauer damals von einem psychologisch angehauchten Krimi erwarteten. Wenn man ihn kritisiert, dann muss man es auf hohem Niveau tun, ihn etwa mit den oben genannten Filmen von Hitchcock oder Lang vergleichen. Dass ein 1984 gedrehtes Remake mit Jane Seymour in der Hauptrolle in die Hosen (der Geschichte!) gehen musste, liegt auf der Hand.

Dienstag, 6. November 2012

Eine Weimarer Pizza geht nach Wien oder zur Psychopathologie österreichischer Toiletten: Bericht von der Viennale 2012



Am Donnerstag, den 25. Oktober, bin ich in Richtung Österreich gereist, um dem 50. Internationalen Filmfestival Wien (25. Oktober bis 7. November 2012), auch als Viennale bekannt, einen Besuch abzustatten. Der Weg führte mich von Weimar, über Jena, Leipzig, Dresden, Prag bis in die ehemals kaiserliche Hauptstadt. Drei Tage voller Filme erwarteten mich: neue, alte, gute und nicht so gute. Und extrem gute Kaffees. Und merkwürdige Bekanntschaften mit österreichischen Toiletten. Und nasse Füsse. Und eine hirnverbrannte Festival-Organisation... aber dazu später.

Donnerstag 25. Oktober 2012

Bei einem dreistündigen Halt in Leipzig stimmte ich mich Kino-technisch etwas auf die Viennale ein und ließ mich in einer Pressevorführung vom neuen James-Bond-Film begeistern. Diese hatte zwar nichts mit dem österreichischen Filmfestival zu tun, wird in meinem Gedächtnis aber immer mit meiner ersten Viennale-Reise verbunden sein. An anderer Stelle habe ich mich schon etwas über den nunmehr 23. (bzw. je nach Perspektive 24., 25., 26.) Bond-Film ausgelassen. Hier also eine Zusammenfassung meiner durch und durch positiven Eindrücke in freier Assoziation.

10.00 Uhr, Cinestar Leipzig
Skyfall
UK/USA 2012, 143 Minuten
Regie: Sam Mendes

James Bond goes Apocalypse Now. James Bond goes art house. James Bond goes avant garde. James Bond goes back to childhood. James Bond goes back to the roots. James Bond goes bi (maybe). James Bond goes Caspar David Friedrich. James Bond goes crazy deadly drinking games. James Bond goes dada. James Bond goes expressionistic. James Bond goes for a swim. James Bond goes Freudian. James Bond goes Gothic. James Bond goes Greek tragedy. James Bond goes greyish. James Bond goes Heineken. James Bond goes hunting knife. James Bond goes introspective. James Bond goes James Bond. James Bond goes meta. James Bond goes neon signs. James Bond goes Oedipus. James Bond goes Oskar Fischinger. James Bond goes sawed-off shotgun. James Bond goes self-aware. James Bond goes shadow play. James Bond goes sicko. James Bond goes vintage. James Bond goes weirdo.
James Bond goes Skyfall!
P.S.: „Q“ goes hipster-nerd. Bond villain goes Hannibal Lecter. Bond side villain goes Stromberg.


Nach einer sehr langen Reise (Start: 07:20 Uhr in Weimar) kam ich also kurz nach 22.00 Uhr in Wien an. Nach einem Bier und einem Wodka mit meinem Gastgeber, dem ich vom neuen Bond-Film und von der kommenden Fritz-Lang-Retrospektive vorschwärmte, ging es zur Eröffnungsparty der Viennale. Zu der Eröffnungsparty oder vielleicht auch zu einer Eröffnungsparty. Mehr noch als die fürchterliche Musik, die Kälte und die horrenden Bierpreise brachten mich die Toiletten zur rasenden Verzweiflung. Vor ihnen stand eine gefühlt vierzig Meter lange Schlange. Dixie-Klos im Innenhof waren die Alternative. Sie waren zwar nicht beleuchtet, aber hier konnte ich mich zum letzten Mal während meines Wien-Aufenthalts ohne Klaustrophobie-Anfall erleichtern...


Freitag 26. Oktober 2012

Nach vierstündigem Schlaf ging es weiter. Zunächst durch die Innenstadt etwas spazieren. Beim Stephansdom einen Cappuccino to go genommen, der mich bei der ersten Berührung mit meinen Geschmacksknospen in den Himmel geführt hat. Was ich letztes Jahr in Graz erlebt hatte, wiederholte sich nun in Wien: österreichischer Kaffee ist der beste der Welt, oder zumindest der beste, den ich kenne. Die Österreicher haben Mut zur Bohne, und das ist gut so!
Weiter zum Hilton Hotel Wien, wo die Presse-Karte abgeholt wurde. Die Freude über das kostenlose Festivalkatalog, das kostenlose Fritz-Lang-Buch und über die Viennale-Umhängetasche verflog zunächst angesichts des Info-Blattes für „Teilnehmer“. Irgendetwas von 4,50 Euro pro Film stand da. Es stellte sich später glücklicherweise heraus, dass auch die niedrige Journaille kostenlos in die Filme gehen durfte. Als schwerwiegenderes Problem stellte sich später allerdings das ineffiziente Reservierungs-System für Pressekarten heraus.
Schwer bepackt ging ich zusammen mit meinem lieben Mitreisenden, luzifus von the-gaffer.de, zum Metro-Kino, wo um 11 Uhr unser erster Festivalfilm begann. Wir hatten nicht „reserviert“ und mussten deshalb über die „Warteliste“ rein, bekamen dann aber trotzdem Karten.
An den Kino-Toiletten hing ein stolzes Schild über den gelungenen Umbau des Örtchens zu einer behinderten-gerechten Einrichtung. Diesen Wienerischen Witz habe ich leider nicht verstanden, denn eine Warnung für Klaustrophobiker wäre angesichts der unglaublichen Enge der Örtlichkeit angemessener gewesen. Ein Ort, der wirklich nur in einem sehr basisch-physischen Sinne Erleichterung brachte.
Der Kino-Saal jedoch war prunkvoll, mit schönen roten Sitzen und Seitenlogen ausgestattet. Die eher mäßige Beinfreiheit stellte sich später als für Wienerische Verhältnisse absolut extravagant heraus...


11.00 Uhr, Metro-Kino Wien
Vous n‘avez encore rien vu
Frankreich/Deutschland 2012, 115 Minuten
Regie: Alain Resnais

Ein Theater-Regisseur stirbt. Sein Butler ruft eine ganze Horde an berühmten Schauspielern an (Michel Piccoli, Pierre Arditi, Sabine Azéma, Lambert Wilson, Mathieu Amalric, Anny Duperey, Hippolyte Girardot etc.), um sie zur Trauerfeierlichkeit und Nachlass-Erklärung einzuladen. Der letzte Wunsch: die Geladenen mögen bitte das Probevideo einer unbekannten Theatergruppe, die das berühmteste Stück des Regisseurs spielt, bewerten und eine Empfehlung geben. Während das Video abgespielt wird, erinnern sich die anwesenden Schauspieler – die wohlgemerkt alle sich selbst spielen – an ihre respektiven Rollen in dieser Adaption der griechischen Sage um Orpheus und Eurydike und beginnen, selbst das Stück im Austausch mit der Leinwand zu spielen.
Was als spannender Film über die Interaktion von Kino mit dem „wahren“ Leben erscheint, entpuppt sich als eine brachiale Tortur von einem „Film“, der über das Niveau eines abgefilmten (schlechten) Theaterstücks nicht hinausreicht. Der Genuss, so viele tolle französische Schauspieler auf einem Haufen zu sehen, wird einem gründlich verdorben. Grottenschlechte CGI-Effekte widerspiegeln entweder den Wunsch des nunmehr 90-jährigen Regisseurs, auch mal moderne Technologie zu nutzen, oder sollen wohl zweck Verfremdungs-Effekt absichtlich „beschissen“ aussehen. Nur mäßig verklausuliert erschien der Film auch als eine völlig ungehemmte und neunmalkluge Selbstbeweihräucherung Resnais‘. Nach gefühlten zwei Stunden lud der Film zum Sekundenschlaf ein, obwohl noch über eine halbe Stunde übrig blieb. Kein schönes Festivaleröffnungs-Erlebnis.


Zwanzig Meter vom Metro-Kino entfernt befand sich eine Imbissbude, bei der der hungrige Festival-Besucher einen ganz ausgezeichneten Dürum (u. a. mit einer scharfen Sauce aus frischen Chillies) genießen konnte. Gleich daneben die Café-Version eines internationalen Fastfood-Konzerns, dessen doppelter Espresso jedoch durchaus „österreichisch“ schmeckte und den Verfasser dieser Zeilen noch vor gar zu schlimmen Sekundenschlaf-Anfällen retten sollte.
In der Zwischenzeit kam heraus, dass die Journaille ausschließlich Wartelisten-Plätze erhält, wenn sie nicht vorher ihre Karten bei der zentralen telefonischen Presse-Reservierung bestellt. Dies sollte sich später noch als echtes Problem erweisen.


13.30 Uhr, Metro-Kino Wien
Pearblossom Highway
USA 2012, 80 Minuten
Regie: Mike Ott

Mit einem nunmehr etwas günstigeren Platz begann der zweite Film in Anwesenheit des überaus sympathischen Regisseurs. Plakate habe er mitgebracht, und wer den Film möge, könne sich im Anschluss eins bei ihm holen. Wer den Film nicht möge, könne sich aber ebenfalls eins holen.
Zwei junge Menschen am Wüstenrand von Los Angeles stehen im Mittelpunkt dieses kleinen Independent-Films. Cory redet ständig und filmt ein Videotagebuch, das er gerne einmal zu einer Reality-Show ausbauen möchte. Atsuko bzw. Anna, eine immigrierte Japanerin, spricht hingegen kaum und bereitet sich auf ihren Einbürgerungs-Test vor. Außer ihrem besten Freund Cory, dessen geistige Gesundheit fraglich und soziale Kompetenz gänzlich unausgeprägt ist, ist die junge Frau völlig von ihrer Umwelt entfremdet. Ihr Nebenjob als Prostituierte verbessert diese soziale Isolation nicht gerade. Erleichterung findet sie nur in den Telefongesprächen mit ihrer Großmutter in Japan, die jedoch zunehmend erkrankt. Derweilen hat Cory immer größere Probleme mit seinem älteren Bruder, einem Armee-Veteranen.
Die scheinbar absolute Loslösung dieses größtenteils eher still vor sich hinplätschernden Films erklärte sich im nachhinein daraus, dass er ein Sequel zu Mike Otts „Littlerock“ ist, der die Figuren Cory und Anna übernimmt. Der Film plätscherte in der Tat: Langweilig, rührend, lustig, emotional, nervig, öde, quicklebendig – all dies war „Pearblossom Highway“, und manchmal sogar gleichzeitig. Nervend waren die immer wiederkehrenden, von einem verfremdeten Polaroidkamera-Klickgeräusch begleiteten Montage-Verdichtungen, die etwas übermäßig bemüht den ansonsten eher realistischen Stil des Films konterkarieren wollten. Atsuko Okatsuka (auch Drehbuchautorin des Films) als Atsuko-Anna bot hingegen eine sehr überzeugende minimalistische Darstellung der entfremdeten Japanerin.
Auch wenn ich mich stellenweise schwer gelangweilt habe, so bleibt im Nachhinein doch ein tendenziell eher netter Eindruck. Das liegt vielleicht am unterhaltsamen Q & A mit dem Regisseur, der sich ganz natürlich, völlig unprätentiös und absolut sympathisch mit dem Publikum austauschte. Ott versprach etwa einer Zuschauerin, die nach einer DVD-Veröffentlichung von „Littlerock“ gefragt hatte, einen Link zu einem Download zu geben.


Nach dem dritten Kaffee des Tages ging ich ins Wiener Filmmuseum, um meinen ersten Film der Fritz-Lang-Retrospektive zu schauen. Luzifus ging derweilen – am 26. Oktober ist österreichischer Nationalfeiertag – zu irgendeinem feierlichen Empfang in der österreichischen Nationalbibliothek, wo der Bundespräsident dem anwesenden Pöbel die Hand schütteln sollte... Gähn! Langweilig! Wer will schon dem österreichischen Staatsoberhaupt die Hand schütteln, wenn er stattdessen einen Fritz-Lang-Film in Kino sehen kann?
Vor „Hangmen Also Die!“ trank ich im Filmmuseum den größten und teuersten und schmackhaftesten doppelten Espresso meines Lebens. Doch auch in diesem Kino spielten mir die Toiletten einen bösen Streich: sie hatten nur eine winzige Kabine und drei Pissoirs, die so eng nebeneinander gestellt waren, dass Mann sie alle gleichzeitig hätte nutzen können. Ein sehr junger Zuschauer besetzte eine halbe Stunde lang die Kabine unter der Aufsicht seines Vaters, der den Rest der Örtlichkeit blockierte. Natürliche Bedürfnisse werden angesichts eines Filmfestivals selbstverständlich völlig überschätzt, aber trotzdem...


16.00 Uhr, Filmmuseum Wien
Hangmen Also Die!
USA 1943, 135 Minuten
Regie: Fritz Lang

„Hangmen Also Die!“ ist einer der drei offenen Anti-Nazi-Filme, die der Emigrant Lang in den USA drehte und basiert auf einem Drehbuch von Bertolt Brecht, der sich wenig später vom Film distanzierte. Er ist eine Hommage an den tschechoslowakischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Okkupation und behandelt die Ermordung des „Henkers von Prag“ Reinhard Heydrich.
Jeder Film verlangt natürlich eine filmhistorisch kontextualisierte Sichtung, doch „Hangmen Also Die!“ sicherlich in einem ganz besonderen Maße. Wir kennen alle das Klischee des überbösen und dämonischen Nazis bis zum Überdruss. Dieses wurde unter anderem gerade hier „erfunden“ und ikonographisch in Zelluloid gebrannt – wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als eben die Nazis noch an der Macht waren und halb Europa besetzten und terrorisierten! Langs Nazis sind mit ihren Pickeln im Gesicht wirklich hässlich. Sie verhalten sich ur-“deutsch“, wenn sie zum Kaffee eine Wurst essen und diese in zwei Hälften so knacken, dass Fleisch und Fett durch das ganze Zimmer fliegen. Sie sind gnadenlos grausam, etwa in Prügelszenen, die selbst mit heutigen Zuschauergewohnheiten noch äußerst brutal wirken. Sie tragen (ironischerweise) Monokel. Zugleich sind sie feige, verantwortungslos und kriecherisch, womit Lang im Prinzip auch das spätere reale „Ich habe nur Befehle ausgeführt“-Narrativ cinematographisch vorweggenommen hat.
Den „Lang im Film“ erkennt man durch die subtile Psychologisierung der Figuren: Schuldgefühle, moralische Dilemmata und Rachegelüste. Der Attentäter Svoboda lebt mit dem unlösbaren moralischen Dilemma, sein Leben zu retten und dabei unschuldige Menschen (Geiseln der Nazis) auf dem Gewissen zu haben oder aber sich zu ergeben und damit zugleich die Widerstandsbewegung in Gefahr zu bringen. Gerade das Thema des Unschuldigen, der in die Knochenmühle der Gewalt gerät, wird hier vielfältig variiert. Lang geht schließlich so weit, dass ein tschechischer Kollaborateur für seine Sünden damit bezahlt, dass er durch eine Verschwörung des Widerstands für ein Verbrechen gerichtet wird, das er nicht begangen hat!


Nach drei Filmen völlig erschöpft und kaum noch fähig, einen verständlichen Satz zu verstehen oder gar selbst zu formulieren, entließ ich mich in eine Dinier-Pause mit einem originalen Wiener Schnitzel und einem Gespräch mit Einheimischen über die Bedeutung des Nationalfeiertages und der österreichischen Neutralität. Gestärkt und mit einem leichteren Geldbeutel ausgestattet kehrte ich, diesmal mit luzifus, in das Wiener Filmmuseum zurück.


21.00 Uhr, Filmmuseum Wien
You Only Live Once
USA 1937, 135 Minuten
Regie: Fritz Lang

Langs zweiter US-amerikanischer Film um einen ehemaligen Kleinkriminellen (ein junger Henry Fonda), der nach drei Jahren Gefängnis nach kurzer Zeit des Glücks zu Tode verurteilt wird, schwankt zwischen einem “amerikanischen“, kontroversen Thema und einer „deutschen“ Ästhetik.
Gerade die barock-expressionistischen Momente wirken auf einer Kino-Leinwand großartig. Nachdem die Hauptfigur Eddie seine Geliebte Joan geheiratet hat, spricht er über seine Kindheitserlebnisse. Dazwischen geschnitten werden Nah- und Extremnahaufnahmen von Fröschen in einem kleinen Gartenteich (vielleicht ein visuelles Vorbild für das spätere „Night Of The Hunter“?), während das Paar durch gebrochenes Wasser umgekehrt gespiegelt wird. Auch die Isolations-Todeszelle, deren Gitterschatten sich in alle Richtungen ausbreiten, markieren visuell beeindruckend die Verlorenheit der Hauptfigur. Als Eddie kurz vor seiner Hinrichtung ausbricht, flieht er durch ein dichtes, atmosphärisches Nebelmeer mit seiner Geisel in Richtung Ausgangstor. Die Flucht des Paares endet in einem offensichtlich im Studio nachgebauten und deshalb so hochstilisierten Wald: eine schöne und hoffnungsvolle Idylle, aber letztlich ein Trugschluss.
Auch wenn das persönliche Schicksal eines Außenseiters im Mittelpunkt steht, so lässt sich „You Only Live Once“ auch als sehr starkes und nicht wenig subversives Plädoyer gegen die Todesstrafe in den USA sehen: Verbrechen entstehen aus sozialen Ursachen, über Schuld besteht keine Garantie, es gibt keine Gerechtigkeit (daher die anfänglich deplatziert wirkende Figur des italienischen Obsthändlers, der sich darüber beklagt, dass patrouillierende Polizisten ihm Äpfel klauen), und die Todesstrafe zerstört nicht nur Leben, sondern auch das gesellschaftliche Gefüge. Die drückende, fast nihilistische Atmosphäre wird schließlich mit einer christlichen Erlösung gedämpft, die jedoch keine richtige Erleichterung zu bringen vermag.
Fritz Lang war die wichtigste Vermittlungsfigur zwischen dem deutschen (expressionistischen) Stummfilm und dem US-amerikanischen film noir. „You Only Live Once“ ist dabei eines der wichtigsten Glieder dieser Verbindungskette, ein spätes strukturelles Sequel zu „M“, ein Vorläufer des Schuld-und-Reue-Melodrams „Scarlet Street“, und dabei doch ein eigenständiges Meisterwerk. Eindeutig ein Höhepunkt der Viennale.


Mittlerweile nicht mehr ganz so frisch erfolgte der Umzug zum Gartenbau-Kino am Stubenring, wo mich erwartete:


23.30 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Double Feature Room 237 & The Shining

Bereits kurz nach 23.00 Uhr traf ich im Gartenbau ein und holte mir meine (reservierte) Pressekarte für das große Shining-Double-Feature. Das Foyer des Kinos füllte sich immer mehr mit Zuschauern, es wurde immer enger, und schließlich so eng, dass jemand, der ob der schlechten Luft ohnmächtig geworden wäre, nicht hätte auf den Boden fallen können. 23.40 Uhr kündete ein Mitarbeiter an, dass sich der Einlass wegen der vorherigen Veranstaltung noch um zehn Minuten verzögern würde. Bis zum Einlass 20 Minuten später also weiter klaustrophobische Unruhe und Ströme an Schweiß...


23.30 Uhr (faktisch etwa um 00.15 Uhr), Gartenbau-Kino Wien
Room 237
USA 2012, 102 Minuten
Regie: Rodney Ascher

„The Shining“ ist zwar ein Kultfilm eigenen Rechts, aber er wäre vielleicht nicht das Werk des Stanley Kubrick, das einem als erstes für eine abendfüllende Dokumentation einfallen würde... zu unrecht, wie sich herausstellte.
Der anwesende Regisseur Rodney Ascher hat mehrere Leute – dass man nicht erfährt, wen genau, kann man je nach dem als irrelevant oder als Schwäche sehen – zur Verfilmung von Stephen Kings Roman befragt und dabei Erstaunliches erfahren: von Kleindetails bis zu umfassenden Interpretationen.
Eine mögliche Sichtweise auf „The Shining“ wäre zum Beispiel, dass es sich um Kubricks allegorische Verarbeitung der Vertreibungen und Massaker an den amerikanischen Ureinwohnern handelt. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass das „Overlook“ auf einem Indianerfriedhof gebaut wurde. Während des ganzen Films im Hintergrund verteilte Regalien (Calumet-Backpulverdosen, ausgestopfte Büffel-Köpfe, Häuptling-Portraits, Teppichkunst etc.) lassen diese Interpretation in Ansätzen plausibel wirken.
Stanley Kubrick hatte in den frühen 1990ern bekanntermaßen angefangen, mit „Aryan Papers“ einen Film über den Holocaust zu drehen. Mit „Schindler‘s List“ ließ er sein Projekt als obsolet fallen. Möglich wäre auch – so einer der Interviewten –, dass Kubrick mit „The Shining“ seinen Holocaust-Film bereits gedreht hatte: die apokalyptischen Blutfluten sprechen am offensichtlichsten dafür. Mehrere Überblenden von Personen auf Reisekoffer-Haufen (eine der vielen Holocaust-Ikonographien) und umgekehrt an einer und derselben Stelle weisen subtiler auf eine solche potentielle Interpretation. Dass die riesigen Büchsen „kosher dill“ in der Speisekammer oder das Arrangement der Fleischhaufen im Kühlraum (das tatsächlich an Lager-Schlafbarracken-Bilder erinnerte) keinem Interviewten aufgefallen ist, scheint überaus verwunderlich.

Erheblich abstruser scheint die Interpretation von „The Shining“ als Kubricks persönliche Bewältigung seiner Beteiligung an der Fälschung der Mondlandungs-Bilder, wozu man über Dannys Apollo-Pullover und diverse Zahlenspielereien mit der Raumnummer 237 kommt. Lacher waren hier garantiert.
Mehrere Interpretationen waren zumindest sehr viel ergebnisoffener. Kubrick sei als Mensch mit überdurchschnittlichen intellektuellen Kapazitäten seit Anfang der 1970er Jahre zutiefst gelangweilt gewesen und habe daher angefangen, seine Filme mit noch erheblich mehr mit elaborierten, geradezu manischen Details zu spicken. „The Shining“ sei in diesem Sinne ein strukturelles Sequel von „Barry Lyndon“: ein Meta-Film über ein gelangweiltes, weil intellektuell unterfordertes Genie. Deshalb gäbe es auch in der Szene des Vorstellungsgesprächs einfach mal eine Phallus-Konstruktion, die sich aus dem Kamerawinkel in Verbindung mit einer dunklen Papierablage ergäbe. Auch relativ ergebnisoffen ist die Deutung von „The Shining“ als philosophisches Essay über Vergangenheit.
Wenngleich „Room 237“ vielleicht 20 Minuten weniger ganz gut getan hätten, so war er doch eine schöne Erfahrung. Zunächst hat er die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf einen Film gelenkt, der manchmal wohl etwas zu schnell als „Kubricks Horrorfilm“ abgetan wird und ihm damit eine schöne Hommage geschenkt. Zweitens hat er auch gezeigt, dass ein gutes Kunstwerk in seiner Ausdeutung sich immer sehr schnell von den möglichen Intentionen des Künstlers freimachen kann. Genauso, wie Kubrick den King-Stoff auf persönliche Weise verarbeitet hat, eignet sich der Zuschauer den Film in ganz eigener Art an... Der Beweis erfolgte in einem Q & A mit dem vielleicht großartigsten Zuschauerkommentar aller Zeiten: ob Rodney Ascher bemerkt habe, dass die Deckenverzierung des Kinosaals den Teppichmustern in „The Shining“ ähnlich sei...


Nach spätestens einer halben Stunde bemerkte nicht nur ich, sondern auch luzifus und mein lieber Wien-Gastgeber, dass die Sitze des Gartenbau-Kinos zu streng quadratisch geformt (und daher sehr unbequem) sind und dass Füße und Knie sich permanent an den Vordersitz anstoßen. Länger als anderthalb Stunden hier zu sitzen, sollte sich also theoretisch als die reinste Tortur erweisen. Wir haben aber zu diesem Zeitpunkt noch über drei Stunden vor uns! Dosenbier kann vielleicht etwas Erleichterung schaffen (was sich später als Illusion erweist).


etwa um 02.00 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
The Shining
UK/USA 1980, 119 Minuten
Regie: Stanley Kubrick

Die ganzen Lacher und Ahas und Ohhs, die während der Vorführung durch das Publikum gingen, wenn eine in „Room 237“ prominent besprochene Stelle kam, waren sicherlich besonders bemerkenswert und der Beweis, dass Filme im Kino geschaut werden sollten. Doch erst richtig einmalig war die 35-mm-Filmkopie: vollkommen ausgewaschen, rotstichig, mit permanenten tiefen Kratzern und teils so schweren Beschädigungen, dass man in manchen Momenten einen Filmriss erwartete.
Meine zweite Sichtung von „The Shining“ war also ein großartiges, einmaliges, und wirklich niemals wiederholbares Erlebnis. Manch Schock-Effekt wurde zwar dank der Verfremdung der schlechten Kopie minimal gedämpft, doch nur im Kino kann man wohl erleben, was für ein PHÄNOMENAL LAUTER Film „The Shining“ eigentlich ist.
Mir ist übrigens aufgefallen, dass auf der roten Männer-Toilette eine Toilettenschüssel im Hintergrund viel zu nahe an der Trennwand der Kabine montiert ist, und daher – zumindest für große Geschäfte – unmöglich nutzbar wäre. Sehr irritierend! Sehr beunruhigend!



... ... zum ersten Mal in meinem Leben das Kino um vier Uhr morgens verlassen. Gehirn fühlt sich wie Matschepampe an. Füße und Knie ebenso. Ins Bett gekommen um 04.30 Uhr, jedoch noch eine Stunde gebraucht, um einzuschlafen...


Samstag 27. Oktober 2012

Das diesjährige Viennale-Tribute befasste sich mit Michael Caine und zeigte zehn Filme des charismatischen britischen Schauspielers. Zwei von ihnen sollten jeweils den Einstieg in den Tag bilden.


12.00 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Hannah And Her Sisters
USA 1986, 105 Minuten
Regie: Woody Allen

Ein typischer 1970er- und 1980er-Jahre Woody-Allen-Film: es wird massenweise geredet (über Sex, Neurosen und den ganzen üblichen Rest), zwischendurch die Bettpartner gewechselt, es gibt ein bisschen Lustiges, ein bisschen Trauriges, und das ganze plätschert in kleinen Episoden nett vor sich hin. Manch begeistertes und überschwängliches Kritikerlob für Woody Allen kann ich nicht so recht nachvollziehen. Im Kino „Hannah And Her Sisters“ auf einer 35-mm-Kopie zu sehen, war nichtsdestotrotz ein nettes Erlebnis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!


Club-Mate wird auch in Österreich verkauft, wenngleich etwas überteuert. Eine willkommene Pause zu den ganzen üblichen doppelten Espressi.


14.30 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Sinapupunan (Thy Womb)
Philippinen 2012, 106 Minuten
Regie: Brillante Mendoza

Eine nicht mehr blutjunge Geburtshelferin in einem philippinischen Fischerdorf ist selbst unfruchtbar und fordert ihren Mann dazu auf, sich eine neue Ehefrau zu suchen, die ihm Nachwuchs gebären kann.
Was zunächst narrativ, atmosphärisch und ästhetisch eher wackelig beginnt, entwickelt sich nach einiger Zeit zu einem exzellenten ethnographischen Tableau über Glück und Mühen des Lebens in einem isolierten Fischerdorf. Man könnte, wie etwa mein lieber Kollege luzifus, bedauern, dass der Film über weite Strecken und ganz besonders im Mittelteil seine „eigentliche Story“ und sogar seine beiden Hauptfiguren vergisst. Dieser Verlust des Fokus kann aber auch als große Chance begriffen werden, als Möglichkeit, ein umfassendes Panorama dörflichen Lebens in Südostasien in sorgfältig komponierten Weitwinkelbildern zu entfalten. Den Höhepunkt bildet die lange Vorbereitung einer Hochzeitsfeier (wohlgemerkt: nicht der männlichen Hauptfigur, sondern eines unbekannten jungen Paars) und ihre Durchführung: Einkaufen am Markt, Schlachtung der Tiere, Kochen, die religiöse Vermählung, Baderitual im Meer, die Tanz- und Sing-Zeremonie... Entrückt schöne Bilder aus einer anderen Welt. Ganz ruhig nimmt dann der Film seinen „eigentlichen“ roten Faden wieder auf.
Nebst der wunderbaren Photographie, deren zeitweilige Wackelästhetik allein der Tatsache geschuldet ist, dass der Film entweder in Booten oder auf wackligen Pfahlhütten spielt, sei hier besonders die großartige Darstellung der berühmten philippinischen Schauspielerin Nora Aunor erwähnt. Sie verleiht mit ihrem differenzierten Spiel der Figur der kinderlosen Geburtshelferin und Fischerin eine besondere Würde und Willensstärke. Ein sehr sperriger, aber schöner Film.


Dank der unbequemen Sitze herrscht kurz nach dem Film eine gewisse Unsicherheit darüber, ob ich überhaupt noch Knie und Beine besitze. In die Pause raustorkelnd lässt sich die Frage knapp bejahen. Wir nehmen uns vor, den nächsten Film mit Beinfreiheit in der ganz ersten Reihe zu sehen.


17.00 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Meanwhile
USA 2011, 60 Minuten
Regie: Hal Hartley

Ups! Wenn man ganz vorne sitzt, ist die Leinwand wirklich riesig. Dürfte aber zu einem kurzen Film passen.
Hal Hartley, eine Gallionsfigur des US-amerikanischen Independent-Kinos der 1990er Jahre, zeigt knapp 24 Stunden im Leben eines End-Dreißiger New Yorkers. Er fliegt aus der Wohnung seiner erheblich jüngeren Freundin raus, unterhält sich an der Brooklyn Bridge mit einer möglicherweise suizid-gefährdeten Frau, kann aufgrund einer Kontensperrung kein Geld abheben und streitet sich deshalb mit einer Gläubigerin, repariert die Schreibmaschine eines Schriftstellers in einer Bar, plant ein großes Geschäft um den Import europäischer Isolierfenster, bietet chiropraktische Hilfestellung an, tritt als Schlagzeuger bei einer Band-Audienz auf und macht noch diverse andere Sachen. Einen Roman mit dem Titel „Meanwhile“, der mindestens um die 700 Seiten hat, hat er auch schon geschrieben.
„Meanwhile“ war gewissermaßen das Gegenstück zu „Vous n‘avez encore rien vu“, der alles verkörperte, was man an Kunstkino hasst. Hartley Film hat hingegen vieles, was wir an Kunstkino mögen: eine augenzwinkernde Leichtigkeit, eine Freude am Filmemachen und an skurrilen Figuren sowie eine Bereitschaft, die Dinge einfach mal assoziativ geschehen zu lassen. Das wirkte nicht zuletzt deshalb erfrischend, weil der Film sich selbst nicht allzu ernst nimmt, und dem Zuschauer gerade deshalb erlaubt, ihn für voll zu nehmen. Vom Mut, nach einer Stunde einfach mal fertig zu sein, könnte sich manch Film eine Scheibe abschneiden. Kein unvergessliches Meisterwerk, sondern eher der nette kleine Indie-Film von nebenan (und mit nebenan meine ich natürlich: New York).


Die Beine und die Knie sind für die tolle Idee, mich in der ersten Reihe hinzusetzen, höchst dankbar. Der Nacken möchte mich hingegen am liebsten umbringen. So was nennt man wohl ausgleichende Ungerechtigkeit.
Auf dem Weg zum bislang noch unbekannten Stadtkino habe ich auf Anraten von luzifus eine Käsekrainer gegessen. Dazu ein Gösser getrunken. Es stellte sich als eine gute Möglichkeit heraus, sich für den nächsten Film zu stärken. Getrübt wurde diese Erhebung lediglich durch den wieder einmal völlig depperten Preis für Wurst und Bier und durch die Tatsache, dass Löcher in meinen Sohlen der Trockenheit meiner Füße in einem überaus regnerischen Wien nicht gerade zuträglich waren.
Auch das Stadtkino drückte mit seinen sanitären Einrichtungen das psychopathologische Malaise der Österreicher gegenüber ihren Toiletten aus, der dem demonstrativen Wienerischen Prunk diametral entgegensteht.


20.30 Uhr, Stadtkino Wien
Student
Kasachstan 2012, 90 Minuten
Regie: Darezhan Omirbayev

Es lässt sich nicht leugnen. Sowjetisches bzw. postsowjetisches Kino hat eine komplett eigene Ästhetik, die sich nur schwer erklären lässt. Verzicht auf Dialoge, absurde Situationen, unverständliche Handlungen ohne Motive und eine Kadrierung, die nur selten das zeigt, was man zu sehen erwartet...
Auch „Student“, der sechste Film des Kasachen Darezhan Omirbayev, weist diese Merkmale auf. Sein Anspruch war es, Dostoevsjkijs „Schuld und Sühne“ auf das moderne Kasachstan zu übertragen. Der titelgebende Student ist von der Transformation der Gesellschaft angeekelt: sozialdarwinistischer Egoismus wird in den Vorlesungen gepredigt, bullige Mafiosi prügeln sich herbei, was sie wollen, während Dichter und Denker in Sozialwohnungen am Rande des Existenzminimums darben. Dass der Student ausgerechnet einen unbedeutenden Kleinladen-Verkäufer und eine junge Kundin erschießt, erscheint völlig sinnlos. Von seinen Motiven erfahren wir nichts, da er von seiner Umwelt so stark entfremdet ist, dass er kaum mit ihr spricht – tatsächlich dürfte der Hauptdarsteller in 90 Minuten vielleicht allerhöchstens zwei mit Großbuchstaben bedruckte A4-Seiten an Dialogzeilen haben. Ein bizarrer und teils verstörender Film: eine Szene, in der ein Gangster mit einem Golfschläger einen Esel erschlägt, der sein Auto aus einem Flussbett gezogen hat, mutet wie viele andere wie absurdes Theater an. Trotzdem vermag „Student“ es nicht, einen mit ungebrochener Anspannung durch die ganzen 90 Minuten hindurch zu fesseln.


Auf dem Weg zum Gartenbau-Kino zurück geht der ohnehin feuchte Regen in ekelhaft matschig-nassen Schneeregen über. Die nassen Füße sorgen für eine entsprechende Stimmung und für die schlechteste Vorbereitung zum Abschlussfilm des Tages.


23.00 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Che Sau (Motorway)
Hongkong 2012, 90 Minuten
Regie: Soi Cheang

Ein Gangster spielt gerne mit Autos rum. Ein Polizist spielt ebenfalls gerne mit Autos rum, und sein älterer Streifendienst-Partner hat das früher auch gemacht. Dann gibt es irgendeine Flucht aus dem Gefängnis, bei der irgendein geklauter Diamant auch noch eine Rolle spielt.
Mit anderen Worten: das Drehbuch von „Che Sau“ kann man getrost in die Tonne kloppen. Auch die Figuren sind nur holzschnittartige Klischees und daher nur wenig interessant. Bleibt also die Autoverfolgungsjagd-Action. Tatsächlich stellt sich heraus, dass auch da der Regisseur keinen richtigen Bock hatte und die Arbeit einfach seiner anscheinend hyperaktiven Cutter-Crew überlassen hat. Der „Höhepunkt“ des Films ist die wahrscheinlich lächerlichste, dämlichste, bescheuerteste, unansehnlichste, unvisuellste und vor allen Dingen unübersichtlichste Autoverfolgungsjagd aller Zeiten. Ein völlig konsternierender Tagesabschluss. Dabei hatte ich mich so auf einen Autoverfolgungsjagd-Hongkong-Actioner gefreut...


Sonntag 28. Oktober 2012

Die Zeit habe ich umgestellt und wollte anschließend meinen Tagesplan über die Presse-Reservierungshotline zusammenstellen. Von 10.00 Uhr bis kurz vor 11.00 Uhr habe ich wohl mindestens ein Dutzend mal angerufen, nur um das Besetzt-Zeichen zu hören. Und genau an diesem Morgen ist mir aufgefallen, wie absurd schlecht die Viennale organisiert ist. Sogar der City-Pizza-Lieferdienst in Weimar ist mit zwei Nummern besser aufgestellt als der Presse-Service des Internationalen Filmfestivals Wien. Dies sollte sich später am Tag noch an mir rächen.


11.00 Uhr, Metro-Kino Wien
The Quiet American
USA/UK/Australien/Deutschland/Frankreich 2002, 101 Minuten
Regie: Phillip Noyce

Trotz zweier Kaffees intus schaute ich diesen Film mehr in einem dauerhaften Dämmerzustand als wirklich wach. Vielleicht angesichts der tropischen Hitze, des permanenten Saufens, der schwülen Liebesgeschichte und der bedrückenden politischen Lage gar nicht so unpassend. Ein Film, der meiner Meinung nach aus seinem Setting durchaus mehr hätte tun können und letztlich vor allem von der exzellenten Darstellung und der Dynamik seiner beiden Hauptdarsteller Michael Caine und Brendan Fraser lebt.


Ein Dürum-Döner, anschließend ein doppelter Espresso. Hunger gestillt. Müdigkeit nur oberflächlich angekratzt.
„They Wanted To See Something Different. Eine kleine Geschichte des Unheimlichen“ hieß bei der diesjährigen Viennale ein Spezialprogramm mit Retrospektiven-Charakter, der vom deutschen Horrorfilm-Regisseur und Filmkritiker Jörg Buttgereit vorbereitet worden ist. Unter anderem sollten Beispiele des „Kinos des Abseitigen“ wie „Cannibal Holocaust“, „The Hills Have Eyes“, „The Texas Chain Saw Massacre“ und andere gezeigt werden, die in der ganzen Welt als Klassiker gelten, in Deutschland aber teils indiziert bzw. beschlagnahmt sind. Die Terminplanung brachte uns zu einem anderen Film.


13.30 Uhr, Metro-Kino Wien
The Thing From Another World
USA 1951, 87 Minuten
Regie: Christian Nyby

John Carpenters Splatter-Horror „The Thing“ von 1982 ist das Remake dieser Howard-Hawks-Produktion. Die Geschichte ist bekannt: ein komischer Außerirdischer taucht in einer Eisstation auf und randaliert rum.
Angeblich ist der Film deshalb so berühmt, weil man das Monster kaum je sieht. Tatsächlich taucht der Mann im lächerlichen Kostüm etwas zu oft auf. Der Rest des Films sieht bzw. hört sich wie die Adaption eines Hörspiels. So unfassbar dialoglastig und unvisuell er war, lud er dazu ein, seine Augen zu schließen und dem Sekundenschlaf nachzugeben. Ed Wood-Filme sind vielleicht noch erheblich unkohärenter, aber wenigstens sehr viel unterhaltsamer!


„Was hätte sein können, Teil 1“: nach „The Quiet American“ wäre wahrscheinlich für ein Dürum und ein Espresso keine Zeit mehr geblieben, da wir zum Gartenbau-Kino hätten rennen müssen, um folgendes zu sehen:


13.00 Uhr, Gartenbau-Kino Wien
Donovan‘s Reef
USA 1963, 109 Minuten
Regie: John Ford

Die Vorstellung, einen John-Wayne-Film von John Ford auf einer 35-mm-Kopie in einem großen Kino zu sehen, entbehrt nicht eines gewissen Reizes... um es mal im Sinne eines Understatements auszudrücken. Nicht zuletzt terminliche Gesichtspunkte haben für „The Thing From Another World“ gesprochen, aber auch natürlich die relative Bequemlichkeit der Sitze im Metro-Kino und der ganz eigene Reiz, einen Sci-Fi-Klassiker mit Trash-Elementen auf einer 35-mm-Kopie in einem großen Kino sehen zu können. Im Nachhinein ist man immer klüger!


Aufgrund der vorher geschilderten Reservierungsprobleme kamen wir für eine geplante Vorstellung im Urania-Kino um 16.00 Uhr nur auf die Warteliste. Ich war die Nummer 6, luzifus die Nummer 7. Um 15.55 wurde die Liste aufgerufen und die Tickets verteilt... und zwar bis zur Nummer... 5! Die beiläufige Bemerkung der Mitarbeiterin, dass wir hätten reservieren müssen, führte fast zum Amoklauf: unter Schlafmangel leidende Filmfreaks, die durch einen Overkill an Filmen und einer Überdosis an starkem Kaffee völlig zugedröhnt sind, sollte man eigentlich nicht so freimütig provozieren. Das Niederbrennen des Urania-Kinos erschien uns als Rache zwar ganz sinnvoll, zumal hier völlig überdimensionierte, ewig lange und verschwenderisch prunkvolle Treppen wieder einmal zu Toiletten führten, die das Wort Klaustrophobie neu definiert haben. Wir suchten dann aber doch nach weniger gewalttätigen Alternativen. Während luzifus für Fäkalstreiche optierte, entschied ich mich für die dadaistische Variante: ich überlegte, bei City Pizza Weimar eine Bestellung für das Urania-Kino in Wien aufzugeben. Was schließlich folgte, war ein Aufenthalt in unserem Lieblingscafé bei starkem Kaffee und leckerem Kuchen. Leider auch keine richtige Alternative zu „Was hätte sein können, Teil 2“:


16.00 Uhr, Urania-Kino Wien
Killer Joe
USA 2011, 103 Minuten
Regie: William Friedkin

Am 2. November erscheint der Film in Deutschland auf DVD und Blu-Ray. Insofern zeugt auch „Killer Joe“ davon, dass die Viennale nicht immer das Allerfrischeste an Filmen präsentiert. Eine überaus sprachgewaltige, metaphernreiche  und lustmachende Kritik, die wir im Zug in Richtung Wien gelesen hatten, versprach jedoch ein lustig-durchgeknallt-krankes Kinovergnügen. Stattdessen also: bis bald auf DVD.


18.30 Uhr, Filmmuseum Wien
Man Hunt
USA 1941, 100 Minuten
Regie: Fritz Lang

Noch einmal etwas mit Lang und Nazis. Diesmal dreht sich die Geschichte um den Briten Thorndike, der an der deutsch-österreichischen Grenze mit einem Zielfernrohr-Jagdgewehr unterwegs ist und Adolf Hitler ins Visier nimmt (ein früher und spannender POV durch ein Fernrohr mit Fadenkreuz). In Gefangenschaft geraten, wird der Jäger gefoltert und dazu animiert, ein Geständnis zu unterschreiben, wonach er im Auftrag der britischen Regierung Hitler ermorden sollte. Dies lehnt er ab und kann schließlich fliehen. Doch die Nazis heften sich dicht an seine Fersen.

Ein eher unbekannterer Film des Meisters, der wegen seiner eindeutigen Anti-Nazi-Haltung in den damals noch neutralen USA nur ungern gesehen wurde, zumal auch noch das Production Code Office an der Figur der Prostituierten, die Thorndike bei der Flucht hilft und sich in ihn verliebt, Anstoß nahm. Eine Nähmaschine musste also in ihr Zimmer gestellt werden, damit der Zuschauer sie für eine Näherin hielt!
Ganz ohne die großen Ambitionen von „Hangmen Also Die!“, der vergleichsweise sperriger ist, inszenierte Fritz Lang hier einen überaus spannenden Hetzjagd-Thriller, der von den herrlichen komödiantischen und romantischen Szenen mit der Cockney-sprechenden Prostituierten aufgelockert wird – teilweise gar zu stark. Was an psychologischen Tiefgang fehlt, macht Lang mit seinen kontrastreichen Hell-Dunkel-Kompositionen wieder wett. Der Action-Höhepunkt ist eine Verfolgungsjagd in der Londoner U-Bahn, die mit einem tödlichen Kampf auf der Fahrtbahn endet. „Man Hunt“ ähnelt ein wenig dem ein Jahr zuvor präsentierten „Foreign Correspondent“ Alfred Hitchcocks, und sollte den Vergleich keineswegs scheuen.


Vor dem nächsten Fritz-Lang-Film mit Hitchcock-Vergleichs-Potential ging es in eine eisige Kälte raus, um bei einer Würstchen-Bude um die Ecke den cinephilen Hunger zu stillen. Ein Filmmuseum-Espresso später konnte es dann auch weiter gehen.


21.00 Uhr, Filmmuseum Wien
Secret Beyond The Door
USA 1947, 99 Minuten
Regie: Fritz Lang

Blaubart trifft auf Fritz Lang trifft auf Hitchcocks „Rebecca“: Eine junge Frau in Trauer namens Celia – sie hat gerade ihren Bruder verloren – heiratet Hals über Kopf den dahergelaufenen Architekten Mark. Schnell merkt sie, dass etwas nicht in Ordnung ist: die Hochzeitsnacht läuft im weitesten Sinne „unbefriedigend“, Mark verheimlicht seine geschäftlichen Probleme, in seinem Anwesen tauchen plötzlich skurrile Figuren wie eine überaus dominante Schwester, ein nicht erwähnter Sohn aus erster Ehe, eine Sekretärin mit entstelltem Gesicht sowie der Geist einer wohl nicht ganz natürlich verstorbenen ersten Ehefrau auf und der Ehemann sammelt gerne Zimmer, in denen berühmte Morde stattgefunden haben. Kein Wunder, dass in jeder Szene mindestens einmal ein Schatten Joan Bennetts Gesicht verdeckt.

„Secret Beyond The Door“ ist ein Film, bei dem man das Gefühl nicht los wird, dass mehr dahinterstecken könnte oder sollte. Tatsächlich sollte ursprünglich das Voice-Over von Celias innerer Stimme nicht von der Celia-Darstellerin Joan Bennett gesprochen werden, sondern von einer anderen Frau, um damit die Zerrissenheit der Hauptfigur auf beunruhigendere Weise deutlich zu machen. Auch der Schluss vermag angesichts seiner fast konsternierenden Banalität kaum zu überzeugen. Dies wiegt umso mehr, als dass der konsequent aus der Sicht Celias erzählte Film etwa 20 Minuten vor Schluss – nach einer Bedrohungssituation mit offenem Ende – die Perspektive radikal ändert und Mark zum Erzähler macht. Für einige wahrhaftig großartige Minuten verläuft „Secret Beyond The Door“ in einer Art schlafwandlerischen und verrückten Autopilot voller Ambivalenzen, löst sich dann aber leider wieder in Wohlgefallen auf, statt konsequenter und mutiger im kompletten Wahnsinn zu enden.
Aus dem Vergleich mit dem thematisch und atmosphärisch sehr ähnlichen „Rebecca“ (der sich freilich ebenso am Schluss in Wohlgefallen auflöst) geht „Secret Beyond The Door“ eindeutig als Verlierer hervor. Zurück bleibt kein schlechter Film, aber einer, bei dem man das Gefühl nicht los wird, dass er sein Potential nicht ausgenutzt hat. 


Antriebslos und müde raus. Was nun?


23.30 Uhr, Urbania-Kino Wien
Gimme The Loot
USA 2012, 81 Minuten
Regie: Adam Leon

Was es so mit „Gimme The Loot“ auf sich hat, habe ich vorerst nicht erfahren. Er hätte als letzte Spätvorstellung noch gut gepasst. Müdigkeit und unsichere U-Bahn-Pläne haben letztlich dazu geführt, dass die letzten physischen Ressourcen für die Suche nach einer Kneipe verwendet wurden... für ein überteures und nicht übermäßig gutes Bier... Gute Nacht und wieder aufstehen um 07.00 Uhr, diesmal für die Heimfahrt.


Fazit
Insgesamt hatte ich ein bisschen mehr von der Viennale erwartet. Richtige Knaller jenseits der Retrospektiven sind im Grunde ausgeblieben und irgendwie blieb das unangenehme Gefühl, dass der beste aktuelle Film dieser Reise... „Skyfall“ war. „Sinapupunan“, „Meanwhile“ und „Student“ waren bestimmt sehr interessante Filme, die jedoch eine Reise von über 700 Kilometern (bzw. über 1500 Kilometern mit Rückfahrt) nicht vollends zu rechtfertigen vermögen. Der Anteil der absoluten Totalgurken war mit einem Film pro Tag gut sichtbar, während das wohlige Gefühl, mehrere Filme auf 35-mm-Kopien zu sehen, meine subjektive Bewertung der Filme selbst oft übertraf – von „The Shining“ abgesehen. Ich kann mich jedoch sehr über meine Fortschritte im Bereich des „Amerikaners Fritz Lang“ freuen. Vor drei Jahren hätte ich mich wohl noch zu der blödsinnigen, banausigen und vorurteilsbeladenen Aussage verführen lassen, dass Fritz Lang in den USA nur noch Grütze inszeniert hat. Im Rahmen einer persönlichen film noir-Retrospektive habe ich dieses Jahr mit „Scarlet Street“ und „The Big Heat“ einen überaus interessanten und spannenden Fritz Lang jenseits von „Metropolis“ und „M“ entdeckt. Die vier bei der Viennale gesichteten Langs haben meine Absicht bekräftigt, mich mehr mit seinen „Amerikanern“ zu beschäftigen, die schließlich quantitativ fast zwei Drittel seines Oeuvres umfassen. Das ist immerhin etwas. Eine Wiederholung der Reise dürfte also vom Retrospektiven-Programm abhängen... denn Wien wird bis dahin nicht günstiger werden und seine Toiletten wahrscheinlich nicht geräumiger.

Donnerstag, 1. November 2012

"Whoknows" Bruno Vögelin ist tot

Leider muss ich euch mitteilen, dass Bruno, der in der Blogger-Szene als "Whoknows" auftrat, am letzten Sonntag gestorben ist. Er hatte vor ungefähr einem Monat einen Schlaganfall und lag seitdem im Krankenhaus. David und ich hatten nur indirekt über Telefonate mit seiner Mutter, die er hier gelegentlich als "Splatter-Mutti" vorstellte, Informationen über seine Lage. Besserung war nicht in Sicht, aber er war bei klarem Verstand, und sein Zustand schien stabil, aber heute habe ich wieder angerufen und musste erfahren, dass er nach Komplikationen gestorben ist. Die meisten von euch haben ja schon seinen Bericht über seine letzte größere Krise gelesen und wussten, dass er gesundheitlich angeschlagen war. Schon zuvor hatte sich abgezeichnet, dass er vielleicht bald keine Artikel mehr schreiben würde, weil er durch seine Krankheit und die Medikamente, die er nehmen musste, die nötige Energie und Konzentration nicht mehr aufbrachte. Aber dass es jetzt so kam, war vor ein paar Wochen noch nicht absehbar.

Im Dashboard stehen schon seit längerem zwei fertige Artikel von Bruno. Die wollte er eigentlich erst nach einem Text über einen Film von Buñuel bringen, den er begonnen hatte, aber nicht mehr fertigstellen konnte. Ich denke, es ist in seinem Sinn, wenn diese beiden Artikel noch veröffentlicht werden, deshalb werde ich sie in nächster Zeit reinstellen.

Tja, was soll ich noch sagen? Ich habe Bruno nicht persönlich gekannt, die Kommunikation verlief per Email. Meine Aufnahme hier Anfang letzten Jahres war sehr herzlich und verlief völlig problemlos. Meinungsverschiedenheiten hatten wir eigentlich nie. So kann ich mich nur nachträglich für die gute Zusammenarbeit bedanken.