Samstag, 5. April 2014

José Val del Omar: Spanisches Triptychon der Elemente

AGUAESPEJO GRANADINO
Spanien 1953-55

FUEGO EN CASTILLA
Spanien 1958-60

ACARIÑO GALAICO (DE BARRO)
Spanien 1961/1981-82/1995

alle drei Filme zusammen: TRÍPTICO ELEMENTAL DE ESPAÑA

Regie: José Val del Omar

FUEGO EN CASTILLA
José wer? José Val del Omar (1904-82) war ein spanischer Künstler und Techniker, den es außerhalb seiner Heimat erst noch zu entdecken gilt. Man findet online wenig Brauchbares über ihn auf Englisch (auf Deutsch noch weniger), am besten ist dieser Text. Wikipedia-Artikel über ihn gibt es nur auf Spanisch und Katalanisch. Immerhin existiert ein leider nicht ganz billiges englischsprachiges Buch (neben ungefähr einem halben Dutzend spanischen), das als Katalog zu einer Ausstellung in Madrid entstand, und Amos Vogel erwähnt Val del Omar in seinem Buch Film als subversive Kunst. Val del Omar vereinte in sich auf eine Weise, für die mir kein anderes Beispiel einfällt, einen Hang zu Spiritualität und Mystizismus mit einer Begabung für Tüftelei und Erfindungen auf den Gebieten der Film- und Tontechnik.

AGUAESPEJO GRANADINO
José Val del Omar wuchs in Granada auf, wo er als junger Mann u.a. mit Federico García Lorca befreundet war. Als 1931 in Spanien die Zweite Republik ausgerufen wurde, startete die neue Regierung unter dem Namen Misiones Pedagógicas ein Programm, das Lehrer, Techniker, Künstler und Intellektuelle in abgelegene und rückständige Dörfer entsandte, um Entwicklungshilfe im eigenen Land zu leisten, und Val del Omar schloss sich mit Begeisterung als Fotograf und Kameramann dieser Bewegung an. In den 30er Jahren filmte Val del Omar ca. 40 Dokumentationen für die Misiones Pedagógicas sowie einige auf eigene Rechnung. Fast alle diese Filme sind verschollen, es könnten aber noch irgendwo Exemplare überlebt haben. Im Booklet der DVD-Box (s.u.) ist zu lesen, dass in Puerto Rico sowie bei Kodak in Rochester (New York), wohin Kopien gelangt sein sollen, Nachforschungen angeleiert wurden. Ob diese inzwischen irgendetwas erbracht haben, ist mir nicht bekannt. Auf jeden Fall existieren noch ein Film von einer der pädagogischen Missionen unter dem Titel ESTAMPAS 1932 und Aufnahmen von christlichen und säkularen Festen in verschiedenen Städten, die von Val del Omars Tochter María José und deren Mann Gonzalo Sáenz de Buruaga vor zehn Jahren unter dem Titel FIESTAS CRISTIANAS/FIESTAS PROFANAS veröffentlicht wurden. Interessant sind dabei vor allem Aufnahmen von Prozessionen in der Osterwoche (Semana Santa) mit den langen spitzen Kapuzen, die in ähnlicher Form vom Ku-Klux-Klan übernommen wurden. Diese Filme sind ohne Ton und nur grob geschnitten, so dass man sie eher als dokumentarisches Material denn als ausgearbeitete Dokumentarfilme bezeichnen sollte. Ich nehme an, dass das auch für die meisten der verschollenen Filme gilt, anders wäre die hohe Zahl von über 40 Filmen in wenigen Jahren kaum zustande gekommen.

AGUAESPEJO GRANADINO - der Mond hat die Herrschaft übernommen
Anders geartet ist der ebenfalls erhaltene und 1935 entstandene VIBRACIÓN DE GRANADA, der keine Dokumentation, sondern ein Filmpoem ist und in manchen Bildmotiven schon wie ein Probelauf für den 20 Jahre später fertiggestellten AGUAESPEJO GRANADINO wirkt. Ebenfalls 1935 veröffentlichte Val del Omar ein künstlerisches Manifest, das wohl gewisse Berührungspunkte mit dem Surrealismus aufweisen soll. Ich hätte es gern gelesen, aber leider findet es sich nicht im Bonusmaterial der DVDs, und sonst auch nirgends (außer vermutlich im einen oder anderen der Bücher über Val del Omar). Überhaupt ist die Entwicklung von Val del Omars Gedankenwelt für mich nur schwer greifbar, weil im Bonusmaterial alles nur angedeutet statt detailliert ausgeführt wird. Jedenfalls entwickelte er schon früh einen Hang zu einem christlich inspirierten und spezifisch spanischen Mystizismus, der sich wohl im Lauf der Jahre kontinuierlich verstärkte. Fasziniert war er beispielsweise vom Schweißtuch der Veronika, weil dabei ein Portraitbild ohne Mitwirkung eines Malers sozusagen von selbst entstanden war, worin er eine gewisse Parallele zum Medium Film sah. Er interessierte sich auch für die Schriften von Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz), einem spanischen Mystiker und Heiligen aus dem 16. Jahrhundert. Val del Omars generelle Tendenz wird im Bonusmaterial als "Meca-Mystizismus" bezeichnet, als Mystizismus mit "mechanischen" (also film- und tontechnischen) Hilfsmitteln.

FUEGO EN CASTILLA
Scheinbar diametral entgegengesetzt zu diesen spirituellen Interessen ist Val del Omars Begabung und Interesse für Film- und Tontechnik (zu der sich später auch Video- und Lasertechnik gesellten). Das lief von Anfang an parallel - schon seit den späten 20er Jahren entwickelte Val del Omar Geräte, Aufnahme- und Wiedergabeverfahren, neue Filmformate und dergleichen mehr. Er bekam etliche Patente zugesprochen, doch keine seiner Erfindungen wurde kommerziell verwertet. Leider bleibt auch auf diesem Gebiet das Begleitmaterial der DVDs recht vage, so dass ich schlecht abschätzen kann, welches Potential in diesen Erfindungen steckte. Ein technischer Spinner war Val del Omar aber auf keinen Fall. Er war Mitglied internationaler Technikervereinigungen, besuchte Kongresse im Ausland und hielt dort gelegentlich auch selbst Vorträge. Sein Schwiegersohn Gonzalo Sáenz de Buruaga führt die kommerzielle Erfolglosigkeit in einem Text im Booklet auf eine im franquistischen Spanien allgemein verbreitete Geisteshaltung zurück, komplizierte Technik lieber von bewährten Quellen im Ausland zu beziehen, statt sich entsprechende Entwicklungen selbst zuzutrauen. Val del Omar selbst soll die Vertreter dieser Haltung als "Nachäffer" bezeichnet haben.

FUEGO EN CASTILLA 
Zumindest einige seiner Erfindungen waren wohl auch ihrer Zeit voraus. So entwarf er schon 1951 in Vorwegnahme späterer Surround-Sound-Techniken eine Installation mit nicht weniger als 14 dreidimensional angeordneten Audiokanälen. Bereits 1944 bekam er ein Patent für "diaphonischen" Sound (diafónico), wie er es nannte. Dabei kam im Kinosaal ein Audiostrom wie gewohnt von vorne, ein zweiter dagegen aus der entgegengesetzten Richtung, also von hinten. Wenn ich die knappe Beschreibung richtig verstanden habe, dann war hier nicht ein realistischer Raumklang das Ziel, sondern es sollte die emotionale Wirkung des Gehörten auf das Publikum moduliert werden. Wenn es so etwas wie eine Generallinie in all diesen Erfindungen gibt, dann war es wohl der Wunsch nach einem "totalen", nach einem multisensorischen Kino, das nicht nur die Augen und die Ohren, sondern möglichst alle Sinne (und natürlich auch den Geist) anspricht. Tatsächlich trug er sich auch mit Gedanken für Geruchs- und Tast-Kino. In letztere Richtung geht auch seine Entwicklung der Táctil Visión, auch wenn dabei nicht wirklich taktile Reize übermittelt werden. Vielmehr geht es dabei darum, durch optische Tricks die dreidimensionale Form und die Oberflächentextur der abgebildeten Objekte besser erfassbar, sozusagen mit den Augen ertastbar zu machen. Dazu werden einerseits Streifen- oder Rautenmuster auf die Objekte projiziert, wodurch sich Bildeffekte wie in der Op Art ergeben, andererseits wird stroboskopische Beleuchtung eingesetzt.

FUEGO EN CASTILLA
In den 40er Jahren, als sich Val del Omar irgendwie mit dem franquistischen Regime arrangiert hatte, arbeitete er als fest angestellter Fotograf und Tricktechniker bei einem großen Filmstudio, was ihm ein geregeltes Einkommen sicherte, ihn aber nicht ausfüllte. Irgendwann fasste er den Entschluss, wieder unabhängig eigene Filme zu drehen, die einerseits seine spirituellen Neigungen widerspiegeln sollten, die andererseits aber auch als Vehikel für einige seiner Erfindungen dienen sollten. Und damit sind wir nun endlich bei den drei Filmen, die Val del Omars Hauptwerk bilden, und wegen denen er überhaupt von fortdauerndem Interesse ist. Jeder der Filme ist einem der klassischen "Elemente" gewidmet (Wasser, Feuer und Erde - die Luft bleibt hier außen vor), und sie bilden eine geographische Achse: Von Granada im Südosten Andalusiens über das kastilische Herz Spaniens bis zur Provinz Galicien im Nordwesten. Die Filme dauern 21, 17 und 23 Minuten, zusammen also ziemlich genau eine Stunde. AGUAESPEJO GRANADINO, was ungefähr "Wasser-Spiegel [man beachte die Schreibweise] von Granada" bedeutet, ist der Film über das nasse Element, und er verwendet (erstmalig) diaphonischen Ton. Gedreht wurde an verschiedenen Orten in und um Granada, vor allem aber in der Alhambra, dem Wunderwerk maurischer Baukunst, mit ihren Brunnen und Wasserspielen. Gelegentlich verselbständigt sich das Wasser zu einem fast abstrakten Fluidum, ähnlich wie in Ralph Steiners H2O oder auch in Kenneth Angers EAUX D'ARTIFICE. Gelegentlich sind Gebäude oder Menschen als Reflexion auf einer Wasseroberfläche zu sehen, was wiederum etwas an Kurt Steinwendners VENEDIG erinnert. In einer Sequenz, in der der Mond sozusagen seine sinistre Herrschaft ausübt, ist der ansonsten schwarzweiße Film grün viragiert, was ihn hier noch etwas näher an den blau viragierten EAUX D'ARTIFICE heranrückt. Insgesamt ist aber AGUAESPEJO GRANADINO deutlich vielgestaltiger als Angers eher monolithischer Film. Der Soundtrack besteht zu einem beträchtlichen Teil aus elektronisch verfremdeten oder vollständig elektronisch erzeugten Geräuschen. Es gibt auch etwas Flamenco zu hören, wobei aber jeder folkloristische Eindruck vermieden wird. Daneben wird sehr ausgiebig (für meinen Geschmack etwas zu ausgiebig) aus irgendeinem poetischen Text zitiert. In den anderen beiden Filmen ist der Text demgegenüber sehr stark reduziert, was mir besser gefällt.

FUEGO EN CASTILLA
FUEGO EN CASTILLA ("Feuer in Kastilien") etabliert von Anfang an eine dunklere Stimmung als der Vorgänger. Der Untertitel Táctil Visión del páramo del espanto bedeutet ungefähr "Tactilvision der Hochebene des Schreckens", und ein paar Gedichtzeilen von García Lorca evozieren Assoziationen an Blut und Tod. Technisch wartet der Film wieder mit diaphonischem Ton auf, vor allem aber, wie der Untertitel schon ankündigt, mit Táctil Visión. Und was hier geboten wird, ist frappierend. Als Anschauungsobjekte für die Technik dienen hölzerne Heiligenstatuetten, gedreht wurden diese Sequenzen in einem Museum für religiöse Skulpturen in Valladolid. Die schnell wechselnden unterschiedlichen Schwarzweißmuster, die als Schatten auf die Gesichter der Skulpturen projiziert werden, erzeugen ein ums andere Mal verblüffende bis atemberaubende Bildwirkungen. In Filmen, die vor der CGI-Ära entstanden, habe ich so etwas bisher noch nicht gesehen. Einzelne Screenshots können diese Effekte nur höchst unzureichend wiedergeben. Daneben werden weitere verfremdende Techniken genutzt, etwa stark verzerrende Linsen. Beim Soundtrack kommen wieder elektronische Töne reichlich zum Einsatz. Die düstere Stimmung des Films wird am Ende aufgehoben. Wieder sind poetische Zeilen zu hören, die aber diesmal die Macht des Todes negieren und die der Liebe dagegensetzen. Und dann kommt nach dem schwarzweißen Hauptteil des Films noch ein Epilog, der eine Blumenwiese in Farbe zeigt, wobei Blau und Orange dominieren - es sieht fast wie neumodisches Color Grading aus. Wie zuvor schon bei AGUAESPEJO GRANADINO wird auch hier am Ende SIN FIN eingeblendet - OHNE ENDE.

ACARIÑO GALAICO (DE BARRO)
ACARIÑO GALAICO (DE BARRO) schließlich bedeutet "Liebeserklärung an Galicien (Aus Lehm)". Auch hier gibt es wieder etwas Táctil Visión, aber weit gemäßigter als im Vorgänger, dafür mehr verzerrte Bilder sowie Negativaufnahmen. Mehrfach ist ein Mann mit lehmverkrustetem Gesicht im Bild, auch galicische Landschaften und sakrale Kunst und Architektur in Santiago de Compostela sind zu sehen. Die Aufnahmen entstanden 1961, doch dann brach Val del Omar die Arbeit am Film ab, weil er ihm in irgendeinem Sinn zu negativ war, und weil er glaubte, seine selbstgesteckten Ziele nicht erreichen zu können. Erst 1981 nahm er Schnitt und Vertonung von ACARIÑO GALAICO in Angriff, aber durch seinen Tod wurde er nicht damit fertig. 1982 hatte Val del Omar einen Verkehrsunfall, der zunächst glimpflich verlaufen zu sein schien, aber nach ein paar Tagen fiel er ins Koma, und einige Wochen später ist er gestorben. Endgültig fertiggestellt wurde ACARIÑO GALAICO (DE BARRO) erst posthum 1995. Vermutlich hätte Val del Omar auch diesem Film diaphonischen Sound verpasst, aber weil keine gesicherten Informationen darüber vorlagen, wurde er in Mono abgemischt.

ACARIÑO GALAICO (DE BARRO)
FUEGO EN CASTILLA wurde 1961 in Cannes gezeigt, und für seine optischen Effekte wurde ihm dort ein Preis verliehen. Ein Durchbruch zu internationalem Ruhm war das für Val del Omar aber nicht. Im Gegenteil, im Ausland war er bald wieder weitgehend vergessen. In den 20 Jahren zwischen den beiden Arbeitsperioden an ACARIÑO GALAICO beschäftigte er sich weiter mit seinen Erfindungen und Tüfteleien, finanziell unterstützt von Tochter und Schwiegersohn. In Madrid richtete er sich ein Labor ein mit dem Namen Picto-Lumínica-Audio-Táctil (PLAT), in dem er nach dem Tod seiner Frau auch wohnte und ein wohl etwas asketisches Leben führte. In Spanien bestand immer ein gewisses Interesse an ihm, das seit den 90er Jahren kontinuierlich anwuchs und in Filmen und Ausstellungen über ihn sowie den bereits erwähnten Büchern kulminierte. Das spanische Label Cameo, das auch die verdienstvollen DVD-Sets Del Éxtasis Al Arrebato und Cine A Contracorriente herausgebracht hat, veröffentlichte 2010 eine Box mit nicht weniger als fünf DVDs unter dem Titel Val Del Omar. Elemental De España, die alle erhaltenen Filme von Val del Omar sowie einige Bonusfilme enthält. Allerdings sind die DVDs nicht alle voll befüllt - man hätte das auch auf vier oder sogar drei DVDs unterbringen können. Wie schon von den anderen beiden Sets gewohnt, ist auch dieses zweisprachig in Spanisch und Englisch abgefasst. - FUEGO EN CASTILLA ist auch auf Del Éxtasis Al Arrebato enthalten.

ACARIÑO GALAICO (DE BARRO)
Erst spät hatte Val del Omar wohl die Eingebung, seine drei Hauptwerke formell zu einem Triptychon zusammenzufassen, wobei er auf die Idee kam, dass die Filme in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Entstehung betrachtet werden sollten. Das wurde von seinen Nachlassverwaltern aufgegriffen, so dass heute die reverse chronologische Ordnung die kanonische ist. In Stein gemeißelt ist das aber nicht, so dass das Triptychon, das 1996 seine Uraufführung in kompletter Form erlebte, auch in anderer Reihenfolge angesehen werden kann. Wie auch immer man die Filme sieht - gemeinsam durchzieht sie eine seltsam dräuende, rätselhafte Atmosphäre, und sie künden von einem für mich ebenso faszinierenden wie enigmatischen Regisseur.

José Val del Omar und seine Frau María Luisa Santos (Privatfilm von Val del Omar, 30er Jahre)

2 Kommentare:

  1. Ich glaube, dass ich zu den 93,7 % gehöre, die noch nie etwas von José Val del Omar gehört haben ;-)
    Erstaunlich zu sehen, was für fantastische Bilderwelten im franquistischen Spanien möglich waren!
    Bei den Ausschnitten aus FUEGO EN CASTILLA, die ich bei youtube gesehen habe, fallen mir etwas assoziativ Bilder aus dem Rohmaterial von Clouzots unvollendetem L‘ENFER ein. Dort wird auch mit Lichtprojektionen auf Figuren, stroboskopischen Effekten, Verzerrungslinsen etc. gearbeitet wird. Da del Omars Film in Frankreich lief, ist es vielleicht nicht völlig abwegig zu denken, dass Clouzot ihn vielleicht gesehen hat.

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    1. Ja, besonders die Lichtmuster, die auf Romy Schneiders Gesicht projiziert werden, erinnern in der Tat etwas an die Statuen in FUEGO EN CASTILLA. In Clouzots letztem Film LA PRISONNIÈRE gibt es auch eine reichliche Portion kinetische Kunst mit interessanten Effekten zu sehen, aber da sind es eher die materiellen Objekte selbst und nicht darauf projizierte Muster, die die Effekte erzeugen.

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